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Der Namensvetter

Auf dem Rathsfeld war vormals eine Niederlassung des Zisterzienserklosters Walkenried, das im gleichnamigen Dörflein am südlichen Abhange des Harzes gelegen war und just im Jahr des Westfälischen Friedensschlusses eingezogen worden ist.

Einst ging eine alte Botenfrau von den guten Mönchen, die da droben auf dem Rathsfeld hausten, am späten Abend wieder ihrer Heimat Berga zu. Sie hatte den frommen Brüdern Butter und Eier gebracht und trug nun mancherlei Erzeugnisse des Klosters in ihrer Kiepe nach Hause. Da trat ihr, nicht weit vom Kyffhäuser, ein wilder bärtiger Geselle in den Weg. der ihr unter gräßlichen Flüchen und fürchterlichen Drohungen den Korb mit dem wertvollen Inhalte von der Schulter riß. „Friedrich, Friedrich, zu Hilfe, zu Hilfe!" schrie die auf den Tod erschrockene Alte mit so gellender Stimme, daß es unheimlich durch den finstern Wald erklang. Alsbald tauchte eine hohe Gestalt aus der nächtlichen Dämmerung, deren langer, wallender, roter Bart schier feurig glänzte. Die schlug den Räuber, ehe er sich's versah, mit mächtigem Faustschlag hinter die Ohren, also, daß ihm Hören und Sehen verging und er wie tot den Berg hinunterkollerte. In bewegten Worten dankte die Botenfrau ihrem so unerwartet erschienenen Retter. „Kennst mich wohl nicht?" fragte der Rotbart - denn der war's - die ihn staunend betrachtende und noch an allen Gliedern zitternde Alte. Die schüttelte den Kopf, und der Rotbart fragte wieder: „Wie kam es dann, daß du mich beim Namen riefst?" - „Ei", entgegnete das Weib, „mein Mann heißt Friedrich, und in meiner schrecklichen Angst rief ich nach ihm um Hilfe!" „So, so, also Namensvettern", murmelte der Unbekannte, brach von der nächsten Tanne etliche Zapfen ab, warf sie der Alten in den Korb und sprach: „Hier, gute Frau, nehmt sie zum Andenken mit und grüßt Euren Friedrich schön von seinem Namensvetter!" Ehe die Frau auch nur ein Wort des Dankes stammeln konnte, war der Rotbart verschwunden. Noch ganz verwirrt von dem Erlebten, huckte die Frau flugs ihre Kiepe wieder auf und schritt nun eilends ihres Weges weiter, so rasch sie nur zu laufen vermochte. Dabei verwunderte sie sich über das seltsame Geschenk, das ihr gar wertlos deuchte. Immer schwerer aber ward ihr die sonst gewohnte Bürde, und da sie endlich daheim angelangt, brach sie mitsamt ihrem Korbe kraftlos zu Boden. Wie erstaunte aber ihr alter Friedrich, als er von seinem Schrecke sich erholt und in seines Weibes Kiepe nun Tannenzapfen von lauterem Gold erblickte! Gleich waren vergessen Schreck und Not. Die beiden Alten hatten für ihr Lebtag nun mehr als genug, und immerdar gedachten sie in stiller Dankbarkeit ihres gütigen Retters und Wohltäters auf dem Kyffhäuser. Den Räuber aber fanden Forsthüter tot im Wald liegen: der hatte das Genick gebrochen.

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