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Der Bergmann und der Mönch

Am Kyffhäuser wohnte vor Zeiten ein Bergmann; er las viel in den Büchern, die er auf Markt und Straßen, in den Feldern und Wäldern aufgeschlagen fand. Davon ward er ein abseitiger Mann, der das unerbittliche Spiel menschlicher Begierde durchschauen und verachten lernte und in seinen Feierstunden dahin strebte, wo der vergnügte Haufen kein Vergnügen fand. So ging er einst am dritten Ostertag seinen Gedanken nach, den Kyffhäuser hinan und freute sich der ersten Anemonen und Leberblumen, die sich unter dem Laube hervor in die Nachmittagssonne reckten. An der hohen Warte angekommen, sah er plötzlich einen Mönch mit langem, eisgrauem Bart; der hatte sich lesend über ein altes Buch gebeugt, blickte aber sogleich empor, als ob er den Bergmann erwarte, und sagte: „Es ist an der Zeit. So komm, daß ich dich zu ihm führe. Denn wisse: Welche ahnenden Herzens sind, die dürfen ihn schauen in seiner Majestät." Der Bergmann fürchtete sich, wurde aber von jenem getröstet, bis er ihm, Schweigen gelobend, ins Gemäuer folgte. An einem abgeschlossenen Ort schlug der Mönch mit seinem Stab einen Zirkel um sich und ihn, schrieb seltsame Zeichen hinein und las dunkle Verse aus dem alten Buch. Stieß dann dreimal auf die Erde und rief: „Tue dich auf!" Worauf ein geheimes Zittern und Beben unter ihren Füßen anhob, ein Rücken und Schieben, bis der Boden, soweit er umrissen war, sich lautlos hinuntersenkte zu einem weiten Gewölbe. Durch seine schmalen Scharten schoben sich weiche Lichtbänder herein, in der Höhe zu einem leuchtenden Ball zusammenfließend, der sich auf sie zu stützen schien und die Halle mit einem matten Glanz erfüllte. Über hallende Platten ging dann der Weg zu einem Kreuzgang, in dem eine schwere ewige Lampe von der Decke hing. Daran entzündete der Mönch zwei Fackeln für sich und seinen Begleiter, und in deren schwelendem Licht schritten sie weiter bis an ein zweiflügeliges eisernes Tor. Seine Nietknöpfe waren zu Runen geordnet, die sich in mächtige Zeilen fügten. An ihm klopfte der Mönch beschwörend mit dem Stabe, worauf sich ein Spannen von Federn und Knarren der Hebel vernehmen ließ, bis sich die stählernen Riegel von selbst zurückschoben und die Flügel sich langsam und feierlich voneinander taten, den Eintritt freigebend in eine Kapelle voll wundersamer Pracht und Herrlichkeit. An zwei gegenüberliegenden Seiten standen ein Altar und eine Taufschale, beide aus Gold getrieben und mit Mustern aus farbigen Steinen umbortet. Der Fußboden war von durchscheinendem Kristall, unter dem sich tiefenvoll ungewisse Wunder aufzutun schienen wie unter dem klaren See-Eis. Den Schlußstein der Kuppel bildete ein glühender Rubin, und zwischen den kristallenen Rippen saßen auf nachtblauem Grunde Sterne verschiedenartigen Lichtes. Die diamantnen versprühten milde Garben, die goldnen standen in ruhigem Glanz, und indem sie alle in Wand und Boden sich spiegelten, gab es Widerspiele von verwirrender Pracht, davon dem Bergmann der Atem stockte. Der Mönch führte ihn schweigend in die Mitte des Raumes, gab ihm in jede Hand eine Fackel und ging nach einer silbernen Tür. Nachdem er auch an sie dreimal ehrfürchtig geklopft, sprang sie geräuschlos auf, daß man eine davorliegende niedrigere Halle überschauen konnte. Die hintere Wand war ganz mit einem schweren, grünen Teppich bekleidet, von dem bewehrte Adler schimmerten, mit goldnen Federn künstlerisch gewirkt. Davor saß auf erhöhtem, elfenbeinernem Thronsessel der Kaiser, Zepter und Reichsapfel neben sich und die Krone auf dem heldischen Haupt. Eine Fülle leuchtenden Haars quoll unter ihr hervor und floß mit dem Bart zusammen, der über die Brust und durch die marmorne Tischplatte wallte. Er hatte die Wange auf die Hand gestützt und schien zu schlafen; doch der Bergmann gewahrte bald, wie er die buschigen Brauen in trübseligem Denken bewegte und das edle Haupt wie über ein Unfaßbares schmerzlich schüttelte, während ein unendliches Weh auf dem bleichen Gesicht spielte. Das war kein Gram, wie er die Menschen erfaßte, wenn sie an ihren verbrannten Häusern standen oder hinter einem Sarg wandelten; das war so große, unsagbare Trauer, daß es den Bergmann in die Tiefe seiner Seele erschütterte. Er kreuzte die Fackeln, sank demütig in die Knie und senkte sein Angesicht vor der Majestät dieser Trauer. Dann trat der Mönch an ihn heran, und während die silberne Tür sich wieder schloß, zog er ihn feierlich hinweg. Das eiserne Tor schlug hinter ihnen zu; vom Kreuzgang wandelten sie über hallende Platten zurück ins Gewölbe mit dem spielenden Licht, und als sie daselbst an den gewissen Platz gekommen waren, hob sich der Grund, bis der Bergmann wieder inmitten des Burggemäuers stand. Er trat sinnend hinaus und ließ die Augen über die stillen Wälder schweifen, in denen die Ostersehnsucht webte, hinein in den Abendhimmel. Da stand es wie eine schöne, hochgemute Burg mit Giebeln und starken Türmen. Doch schoben sich graue Unholde heran; Fenster und Zinnen fingen an zu glühen von einem heimtückischen Brand, bis sie in sich zusammensanken und untergingen in Nebelschutt. Der Bergmann aber stieg schweigend hinab und achtete nicht des Amselliedes, das süß durch die Bäume zog, und nicht des Kindergesangs, der unten vom Dorfrande kam; denn er brachte das Bild des Kaisers nicht aus dem Sinn, und sein Herz war voll Traurigkeit, daß er hätte weinen mögen.

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