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Der Bauer von Gehofen

Ein Bauer in Gehofen wollte einst eine Fuhre Getreide noch Nordhausen, zu Markte führen. Er war als ein pfiffiger Kerl bekannt und bewundert, hatte schon manchen schlauen Metzger betrogen und manchen hornalten Gockel als Brathähnlein an den Mann gebracht - in Gottes Namen, wie seine stehende Redensart lautete. Gemächlich neben dem Sattelpferd schreitend, rechnete er sich einen schönen Gewinn heraus; denn obwohl das Korn nicht zum besten war, vermaß er sich doch, einen vertrauensseligen Käufer zu finden, der den vollen Marktpreis bezahlte. Da wurde er unversehens am Hosenband gezupft, und wie er verwundert herniederschaut, gewahrt er ein bärtig Männlein, das mit ihm Schritt zu halten sucht und sich erbietet, ihm seine Fracht zum nämlichen Preis abzunehmen, den sie in der Stadt gelte. „So hätt ich in Gottes Namen gleich einen, der meine Rechnung anerkennt!" lachte der Bauer, versteckte aber seine Freude unter einem gleichgültigen Gesicht und fuhr mit dem Männlein den Kyffhäuser hinan zur Burg. Dort ließ er, wie ihm geheißen, Sack um Sack durch ein Mauerloch in ein geheimes Gewölbe rieseln, worauf er mit dem Männlein auf gewendelter Treppe hinunter in eine weite Halle stieg. Sie war von Fackeln erleuchtet, deren Glanz in tausend roten und blauen Lichtern widerstrahlte; denn rings an den Wänden standen silberne Truhen mit Gold und edlen Steinen.

„Nimm dir, soviel du in Nordhausen erhalten würdest", sagte das Männlein mit erhobenem Zeigefinger. „Doch hör mir recht, nimm nicht mehr, sondern denke daran: mancher bestiehlt sich selbst, wenn er andere bestiehlt."

Der Bauer setzte das treuherzigste Gesicht auf, dessen er fähig war und fing an, unsicher zuzulangen. Da er aber merkte, wie das Männlein, ohne weiter auf ihn zu achten, sorglos herumwuselte, so grapfte er immer dreister in die roten Dukaten. Und bei jedem Griff kam ihm ein neuer guter Gedanke. Zuerst, daß sich der Kornpreis gewiß im Steigen befinde und die ursprüngliche Rechnung also erhöht werden könne. Dann weiter, daß es einen Unterschied gebe zwischen Frucht und Frucht und die seine sicherlich besser sei als die des Nachbarn. Und zu dritt, daß die Fuhre den steilen Berg herauf als eine Schinderei für Mensch und Tier anzusehen sei und ihm auch deshalb noch ein ordentlicher Griff zugebilligt werden müsse. Als er endlich in Gottes Namen jede Tasche mit Goldstücken überfrachtet hatte und steifbeinig einherschreiten mußte wie ein Gewappneter, meldete er mit unterwürfig gezogener Kappe, er habe nunmehr seine Bezahlung bar und richtig empfangen; ja auch die eindringliche Frage des Männleins, ob er auch wirklich nicht mehr genommen, als ihm gebühre, sagte er im Ton beleidigter Ehrlichkeit, er wolle lieber das Leben verlieren als die Rechtschaffenheit, das sei schon seiner seligen Mutter Leitspruch gewesen. Womit er, von seiner goldnen Fracht merklich belastet, die Treppe hinan nach seinem Gespann trabte und hastig die Tiere einsträngte. Da aber klang es plötzlich über ihm, unheimlich wie aus einem fernen Sprachrohr: „Hast du mich belogen, so hast du dich betrogen." Das schlug ihm kalt ins Gebein, er fürchtete, das Männlein werde den Betrug merken und ihm seinen Schatz wieder abjagen, weshalb er sich eiligst auf den Wagen schwang, auf die Pferde einhieb und sinnlos den Berg hinunterprasselte. Doch sein Bangen war umsonst, wohlbehalten kam er im nächsten Dorf an, gönnte aufatmend den Pferden im Gasthaus Ruhe und Futter und bestellte für sich selbst zur Belohnung seiner Tapferkeit ein gutes Essen. Kaum konnte er erwarten, daß der Wirt hinausging; denn es gelüstete ihn, nunmehr unbeobachtet und in aller Sicherheit sich seines Goldes zu freuen. Doch als er eine Handvoll hervorgezogen hatte, fuhr er entgeifert zurück und starrte gleich einem Unsinnigen, denn was er in der Hand hielt, das waren klanglose Plapperte aus schmutzigem Blei. Er sprang auf, wankte wie ein Trunkener in der Stube umher und stürzte dann, ohne Kappe, mit fliegenden Haaren wieder den Berg hinan. Der hatte sich unterdessen in einen Nebel gehüllt, der immer dicker und grauer wurde. Es murrte und polterte von einem anbrechenden Gewitter; der Wind erhob sich und peitschte die Tropfen fast waagerecht durch die Luft. Nach langer Hetzjagd gelangte der Bauer, vom Nebel genasführt, vom Regen gewaschen und vom Sturm gekämmt, auf den Gipfel, tastete sich keuchend in das Gemäuer, rief bittend nach dem Männlein und gestand wie ein geprügelter Schulbub seine Schuld. Er weinte, barmte, bettelte, erbot sich auch, das Getreide in Gottes Namen um den bescheidensten und gerechtesten Preis herzugeben - doch hart und richterlich, diesmal wie aus einem ganz nahen und ungeheuerlichen Sprachrohr brauste es über ihm: „Hast du mich belegen, so hast du dich betrogen;" Da auch die Elemente nur desto unerbittlicher auf ihn eindrangen, so schlug seine Einsicht in die helle Wut der Verzweiflung um. Er stellte sich als einen Verführten hin, fing an, auf das schändliche Bubenstück zu schimpfen, das man an ihm begangen, verfluchte die ganze Teufelsherrlichkeit der Burg und gebärdete sich völlig wie ein Besessener, der dem Tollkoben entsprungen ist. Damit schien aber die Geduld der Burggeister erschöpft. Er wurde plötzlich unsichtbar gepackt und wie im Tanz herumgedreht, zuerst im gemütlichen Schleifer, dann im mäßigen Zweitritt und zuletzt im rappligsten Galopp. Und zur Unterstützung des Taktes gab es ihm auf jedes erste Viertel eine schallende Ohrfeige, so daß das Klitschen und Klatschen immer feuriger wurde und zuletzt in einen völligen Wirbel überging, währenddessen er zur Burg hinaus- und den Berg hinuntergedreht wurde.

In der jämmerlichen Verfassung, mit geschwollenen Backen und triefenden Kleidern langte er wieder im Wirtshaus an, genoß keinen Bissen, sondern rumpelte still, als ob er eine Leiche führe, nach Hause. Dort lag er lange trübselig und stumm. Seine Frau betrachtete ihn mit Ängsten, gab ihm Fliedertee gegen den Schüttelfrost und kühlte die erhitzten Backen mit Aufschlägen. Sie drang in ihn, zu sagen, was ihn in diesen erbärmlichen Zustand gebracht, konnte aber nichts aus ihm herausbringen als die Worte: „Ich habe mich in Gottes Namen im Kornpreis geirrt - das ist alles."

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